Ein Plädoyer für landwirtschaftliche Tierhaltung

cropped-Norwich_Ruesse_Großfläche1.jpgDerzeit wird immer wieder mal die landwirtschaftliche Tierhaltung in Frage gestellt. Dabei werden vor allem ethische Bedenken formuliert, die das Schlachten von Tieren grundsätzlich in Frage stellen. Darf der Mensch Tiere töten, um sich zu ernähren, ist dabei die entscheidende Frage. Aber auch die Frage, ob der Mensch tierisch Produkte überhaupt zu seiner Ernährung braucht, wird dabei aufgeworfen. Und schließlich wird tierischen Produkten ihre schlechtere Klimabilanz und der kalorische Verlust der sogenannten Veredlung vorgeworfen. Aber selbst die landwirtschaftliche Praxis wirft im Prinzip die Frage nach der Notwendigkeit der Tierhaltung auf. denn während viehlose Betriebe vor hundert Jahren quasi undenkbar waren, so wirtschaften viele sogenannte Ackerbaubetriebe heute komplett ohne Vieh und anscheinend funktioniert diese Form von Landwirtschaft ja auch.
Aus meiner Sicht geht eine solche Entwicklung aber tendenziell in die falsche Richtung und die Landwirtschaft ist langfristig ohne Tierhaltung schwierig darzustellen. Denn das Durchbrechen der jahrhundertealten Kreislaufwirtschaft Grünland-Viehwirtschaft-Acker-/Gartenbau gelang erst durch die Entdeckung der (energieintensiven) Stickstoffsynthese und der Nutzung endlicher Rohstoffquellen, die die Hauptnährstoffe Phosphat und Kali in Massen zur Verfügung stellen.
Allerdings sind die derzeitigen Probleme der modernen Landwirtschaft massiv und offensichtlich. Die Tierhaltung produziert keinen knappen und deshalb wertvollen Dünger mehr, sondern regional sogar Nährstoffabfälle, die zu entsorgen sind.  Auch die Haltungsbedingungen in den „modernen“ Stallanlagen sowie die Schlachtbedingungen entsprechen nicht den ethischen Anforderungen einer modernen Gesellschaft. Die Landwirtschaft hat mit der Weiterentwicklung der ethischen Ansprüche an die Nutztierhaltung nicht Schritt gehalten. Im Gegenteil: Sie ist gescheitert an dem Zwiespalt moderner Gesellschaften billig essen zu wollen, aber gleichzeitig hohe Anprüche an die Haltung von Tieren zu stellen. Diesen Gegensatz muss man aktiv auflösen, anstatt immer nur ständig auf ihn zu verweisen.
Die Schlussfolgerung, dass man für eine moderne Ernährung nachweislich keine tierischen Produkte benötige und deshalb die landwirtschaftliche Tierhaltung komplett überflüssig sei, teile ich nicht. Ich finde sie nur vordergründig logisch und empfehle der Landwirtschaft, sich aber trotzdem ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Denn das ist eben keine Einzelmeinung mehr, sondern wird gerade von vielen jüngeren Menschen geteilt. Die massiven Fehlentwicklungen im Zuge der Agrarindustrialisierung haben einen Gegenstrom erzeugt, der sich mittlerweile gegen jegliche Form der Tierhaltung richtet.
Der agrarpolitische Weg muss ein anderer sein: Es geht bei der Tierhaltung eben nicht alleine darum, welche Produke entstehen. Sondern es geht um die Systemfrage, wie Landwirtschaft zukünftig wirtschaften soll. Der Weg in die nutztierlose Landwirtschaft ist insbesondere für Bauernhöfe ohne nährstoffreiche „Schokoladenböden“ wohl eher ein Irrweg. Wer die Sackgasse der Agrarindustrialisierung wieder verlassen möchte, muss zurück zu regionalen Kreisläufen. Dazu gehört auch die Haltung von Rindern, Geflügel und Schweinen. Diese – und eben nicht die endlichen Rohstofflager z.B.  in Marokko – liefern auch langfristig Phosphate und Kali. Wenn die afrikanischen Phosphatlagerstätten in knapp 100 Jahren erschöpft sind, wenn der Kalibergbau mal nicht mehr möglich ist, dann wird die Viehhaltung wieder eine wichtige Grundlage für einen ertragreichen Ackerbau sein müssen. Dann wird der Bauer den Wert seiner Schafe, Rinder und Schweine eben nicht mehr alleine daran messen, wieviel Milch, Wolle und Fleisch sie geliefert haben, sondern auch wieviele Tonnen wertvollen Mist. Und für die Nutzung von Grünlandflächen – die für unsere biologisch Vielfalt eine besondere Bedeutung haben – ist die Beweidung gerade in ökologischer Hinsicht der beste Weg der Nutzung.
Und die ganz überwiegende Mehrheit der Bevölkerung wird vermutlich auch in Zukunft das Töten von Tieren zur Gewinnung von Nahrung für vertretbar halten. Ebenso den Konsum von Milch, Joghurt und Käse – und damit auch die Milchviehhaltung. Auch vor diesem Hintergrund kommt es darauf an, die Haltungsbedingungen unserer Nutztiere so zu gestalten, dass sie gesellschaftlich akzeptiert sind. Genau daran müssen wir als grüne AgrarpolitikerInnen auch arbeiten – ein wesentlicher Schritt dafür kann der Umbau der Agrarförderung entsprechend der Empfehlungen des Nutztiergutachtens des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik sein. Unser Weg muss sein, dem agroindustriellen Modell der Massentierhaltung das Konzept einer bäuerlichen Landwirtschaft entgegenzusetzen, die in weitestgehend geschlossen Kreisläufen wirtschaftet und in der die Tierhaltung ein Pfeiler ihrer ökonomischen und ökologischen Basis darstellt. Gleichzeitig muss es darum gehen, die Tierhaltung als einen wichtigen Bestandteil der Landwirtschaft zu verdeutlichen und die Gesellschaft mit der Nutztierhaltung auszusöhnen. Das wiederum kann nur gelingen, wenn die aktuelle Diskrepanz zwischen gesellschaftlicher Erwartung und landwirtschaftlicher Realität durch eine massive Verbesserung der Haltungsbedingungen aufgehoben wird. Anstatt über den Ausstieg aus der Nutztierhaltung zu philosophieren, sind hier rasche, konkrete und deutlich sichtbare Veränderungen notwendig. Das muss der Kurs einer modernen Agrarpolitik sein, die die Einheit von Landbewirtschaftung und Viehhaltung wiederherstellen und erhalten will.

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