„Aktuelle Zahlen zur Artenvielfalt müssen Ansporn sein“ – Drei Fragen an Norwich Rüße

4.300 Tier- und Pflanzenarten in NRW sind gefährdet oder extrem selten. Rebhuhn, Grauammer oder Kiebitz – laut der jetzt vorgelegten 10-Jahres-Bilanz zum Zustand der Natur hat zum Beispiel ihr Bestand erneut stark abgenommen. Trotz einiger erfreulicher Entwicklungen, wie gestiegenen Zahlen bei Uhus und Wanderfalken, zeigt der Bericht, dass es noch viel zu tun gibt. Norwich Rüße zu den aktuellen Daten und dem Anspruch an die neue Umwelt- und Naturschutzministerin.

1. Das Landesamt für Naturschutz hat jetzt den Bericht zum Biodiversitätsmonitoring vorlegt – was genau verbirgt sich hinter dieser Analyse?

Norwich Rüße: Der aktuelle Bericht „Daten zur Natur NRW“ des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz dokumentiert die Entwicklungen und Veränderungen unserer Natur in NRW in den vergangenen zehn Jahren. In den Bericht sind Auswertungen verschiedener Verfahren und Analysen zur Beobachtung unterschiedlicher Bereiche der Umwelt eingeflossen. Dazu zählen unter anderem die Daten aus dem Umweltmonitoring im Wald, der Roten Liste der gefährdeten Arten oder die Ökologische Flächenstichprobe. Zum Teil wurden Beobachtungen über Jahre durchgeführt. Somit gibt die 10-Jahres Bilanz einen umfassenden Überblick über den Zustand der biologischen Vielfalt im Land. Daraus lässt sich ableiten, welche Maßnahmen für den Naturschutz und den Erhalt der Artenvielfalt notwendig sind.

Norwich Rüße: Der Bericht zeigt: Wir dürfen uns beim Artenschutz nicht zurücklehnen. Viele Tier- und Pflanzenarten sind weiterhin bedroht. Ihnen setzen zahlreiche Faktoren wie der Klimawandel, die intensive Landwirtschaft, Flächenversiegelung oder Umweltchemikalien zu. 4.300 Arten sind in NRW laut dem Bericht akut bestandsgefährdet oder extrem selten und knapp 1000 Arten gelten als ausgestorben oder verschollen.
Beispielweise gibt es deutlich weniger Rebhühner. In NRW sollen nur noch etwa 6000 bis 7000 Paare leben, wobei das Rebhuhn im Münsterland so gut wie gar nicht mehr zu finden ist, so der Bericht. Aber auch Vögel wie Kiebitz, Feldlerche oder Grauammer sind in ihren Brutbeständen stark dezimiert. So kommt die Grauammer – vor wenige Jahrzehnten noch häufig in ganz NRW vertreten – heute nur noch in den rheinischen Bördelandschaften vor. Insgesamt zeigt die Rote Liste, dass sich der Gefährdungsgrad bei einer Mehrzahl der Feldvögel seit 1986 verschlechtert hat. Hier spielt als eine Ursache auch die intensive Landwirtschaft eine bedeutende Rolle. Wenige blütenreiche Feldränder und der Einsatz von Chemikalien setzen den Insektenbeständen zu, die dann wiederum als Nahrung für die Vögel fehlen. Insofern korrelieren auch die aktuellen Befunde von 80 Prozent weniger an Insektenmasse mit dem ebenfalls starken Rückgang der Vogelpopulation.

Im Bericht lassen sich aber auch Erfolgsmeldungen finden, die zeigen: Naturschutzmaßnahmen wirken! Arten haben sich wieder angesiedelt. Und auf Flächen des Vertragsnaturschutzes, halboffenen Weidelandschaften, an renaturierten Gewässern oder Waldwildnisflächen konnte sich die Natur erholen. Zum Beispiel hat sich der Bestand des Uhus deutlich verbessert. Heute ist er z.B. wieder im Teutoburger Wald oder in der Eifel heimisch – sein Vorkommen in NRW zählt mittlerweile mit zu den bedeutendsten in Deutschland. Auch der Lachs kommt aufgrund verbesserter Schutzmaßnahmen wieder in NRW vor. Nordrhein-Westfalen ist das Rheinanliegerland, in dem die meisten Lachse, die hier hin zum Laichen zurückkehren, gezählt werden. Diese erfreulichen Ergebnisse sollten ein Ansporn sein, Natur- und Landschaftsschutzmaßnahmen weiter voranzutreiben.

3. Auch die neue Umwelt- und Naturschutzministerin Christina Schulze Föcking sagt „Das Erfreuliche: Dort, wo wir Schutzmaßnahmen umsetzen, erzielen wir deutliche Erfolge.“ Was erwartest Du nach dem Bericht nun von ihr?

Norwich Rüße: Die Ministerin ist bislang kaum als Umwelt- und Naturschützerin aufgetreten – eigene wirksame Maßnahmen, mit denen man dem fortschreitenden Artenverlust entgegentreten will, hat die Landesregierung bisher auch nicht präsentiert. Zudem wurden Anträge von uns gegen besonders problematische Pestizide, die Neonicotinoide, und zum Einsatz von Glyphosat – beides ist für das Insektensterben mitverantwortlich – von der schwarz-gelben Mehrheit abgelehnt. Ein Einsatz für Artenschutz sieht meiner Meinung nach anders aus.
Aber es ist zumindest schon mal erfreulich, dass die Ministerin auch eingesteht, dass die „Versiegelung von Flächen“ und Umweltchemikalien „Druck auf die Artenvielfalt“ ausüben. Allerdings passt diese Mahnung überhaupt nicht zu den Plänen von Schwarz-Gelb. CDU und FDP wollen den neuen Landesentwicklungsplan, in dem wir den Flächenverbrauch begrenzt haben, schon wieder überarbeiten und diesen wichtigen Grundsatz komplett streichen.
Richtig ist auch, dass die Ministerin erkannt hat, dass der Landwirtschaft eine entscheidende Rolle beim Schutz der Artenvielfalt zukommt. Aber nur auf die Karte der freiwilligen Maßnahmen – wie den Vertragsnaturschutz – zu setzen, wird der Dimension des Problems überhaupt nicht gerecht. Keine Frage, ein gut organisierter Vertragsnaturschutz könnte tatsächlich zur Verbesserung der biologischen Vielfalt beitragen. Dazu müssten sich allerdings noch viel mehr Landwirt*innen an der ökologischen Bewirtschaftung beteiligen. Und schon gar nicht ersetzt er allgemeinverbindliche gesetzliche Regelungen zum Schutz von Umwelt und Natur. Die Ministerin darf es nicht bei schönen Worten zum Naturschutz belassen, sie muss konkrete Maßnahmen einleiten, um Tiere und Pflanzen in NRW zu schützen!

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